Montag, 12. Oktober 2015

Es kann so einfach sein!

Manchmal ist es ganz einfach, Menschen in Not zu helfen. Hinzusehen, sich ein Herz zu fassen, die Person ansprechen und mit Händen und Füßen kommunizieren.

Warum helfen? 
Heute musste ich selbst feststellen, wie schwierig es ist, die richtige Anlaufstelle zu finden! Jemand, der unsere Sprache nicht spricht, hat da keine Chance. Ich habe dutzende Telefonate geführt und wurde immer weiter verwiesen 'mit meinem Problem'. Helfen konnte mir niemand. Selbst im richtigen Gebäude hat man versucht, uns mehrmals wieder weg zu schicken, ans andere Ende der Stadt. Keiner will gewusst haben, wo konkret wir in diesem Gebäude vorstellig werden sollen, auf welcher Etage, geschweige denn in welchem Raum. Was ist denn hier nur los im Bezirksrathaus? Auf dieser Welt?

Nicoleta aus Rumänien war dankbar, dass ich mich nicht habe wegschicken lassen, dass wir hartnäckig geblieben sind. Jetzt hat sie einen Platz zum Schlafen für heute nacht, in einem Frauenhaus. Nicoleta ist im 8. Monat schwanger und schläft seit sie in Köln ist im Park. Das ging im Sommer, aber jetzt ist es kalt. Zu kalt, um nachts im Park zu schlafen.

Schwangere stehen auf Bio-Schoko-Joghurt Brötchen!? 
Ich habe Nicoleta vor dem Bio-Markt getroffen, wo ich gerade mit meinem Sohn beim Bäcker eingekauft habe. Sie stand vor dem Geschäft mit dickem Bauch, in einer Hand den Querkopf, eine Zeitschrift, die von Obdachlosen verkauft wird, in der anderen einen Pappbecher mit wenigen Münzen.
Oh schwanger, dachte ich zunächst. Ich habe in meinen beiden Schwangerschaften das Schoko-Bio-Joghurt-Brötchen vom Bäcker geliebt. Also habe ich zwei gekauft. Eines habe ich ihr angeboten, eines habe ich für mich selbst behalten. Sie hat sich bedankt und ich bin weitergegangen. Zumindest wenige Schritte.
Was mache ich da? Ein Schoko-Joghurt-Brötchen für eine obdachlose Schwangere? Und was isst sie sonst so? Wo schläft sie? Wo wird sie ihr Baby zur Welt bringen? 
Ich bin umgekehrt und habe versucht, mich mit ihr zu verständigen. Hat nicht so gut funktioniert. Ein bisschen ratlos habe ich im Mutter-Kind-Haus angerufen, mehrfach ohne Erfolg.

Und jetzt? Ich habe sie einfach mitgenommen. Ganz einfach eigentlich. Worüber freut sich jemand, der schwanger ist, total verfroren, kein Zuhause hat?
Ich habe Tee gekocht, Spiegeleier gebraten, Brötchen geschmiert, den Kühlschrank durchforstet, ihre löchrigen Turnschuhe gegen ein paar Winterstiefel ausgetauscht (mit meinen dicksten Wollsocken haben sie sogar fast gepasst) und nach warmer Umstandskleidung und einer Babydecke gesucht. Nicoleta war sehr dankbar.
Und was jetzt? Wo soll Nicoleta hin? Ihr Baby kommt bald! Bei meinem Gynäkologen hatten sie keine Idee. Jemanden, der rumänisch spricht konnte ich auch nicht ausfindig machen. Das Gesundheitsamt und die Ausländerbehörde waren ebenfalls nicht zuständig. Auf dem Bezirksrathaus wusste keiner irgendwas - bis ich endlich eine freundliche Dame vom Jugendamt erwischt habe. Dort ist Nicoleta jetzt in guten Händen und wird heute Abend einen warmen Schlafplatz haben. Das hat mir die Frau vom Jugendamt versprochen. Das Jugendamt bemüht sich aktuell um einen ehrenamtlichen Dolmetscher. Was mit ihrem Mann passiert, der auch hier in Köln im Park schläft und den Querkopf verteilt, weiß ich nicht. Was mit ihren beiden Kindern ist, die noch in Rumänien leben, konnte ich auch nicht raus finden. Carolina und Daniella, 10 Jahre und 5 Jahre. Ich hoffe, dass sie bald zu ihrer Mutter können!
Die Dankbarkeit der Frau werde ich nicht vergessen, den warmen Blick, die Hoffnung in ihren Augen. Zum Abschied hat sie mich umarmt und wir hatten beide Tränen in den Augen.

Einer von vielen 
Es ist nur ein Mensch von vielen, die zur Zeit Hilfe brauchen.
Und trotzdem.
Manchmal kann es eben auch einfach sein. Wenn wir uns nur mal kurz Zeit nehmen, hinzusehen und nicht einfach weiter gehen, wie es jeder von uns so oft bereits getan hat - oder wieder umkehren. Zum umkehren ist es nicht zu spät.

Geldtöpfe der Kommunen 
Wieder zurück an meinem Auto, auf dem Parkplatz des Bezirksrathauses, entdecke ich einen Strafzettel an der Windschutzscheibe. Das Lösen des Parktickets habe ich vergessen oder in dem Moment auch einfach nicht als wichtig befunden. Zum Glück sind die Kommunen da auf Zack und Weltmeister im Knöllchen verteilen. Von wegen die Kommunen haben keine Kapazitäten mehr... Das scheint also noch zu funktionieren! Und wer weiß, vielleicht kommt auf Umwegen mein Knöllchen Nicoleta zu Gute?