Wenn wir bald auf dem Land wohnen, und mein Studium
hoffentlich dieses Jahr zu einem Ende findet, werde ich das vermissen. Auf dem
Weg zu sein. Der Weg zum Studienziel und den Weg zur Universität. Diese Anonymität,
die mich begleitet auf diesem Weg. Massen, die in die selbe Richtung strömen,
mit der selben Intention. Und trotzdem ist hier jede und jeder Individuum.
Auch, wenn es nicht auf den einzelnen ankommt. Du bist nicht im Fokus. Einer
von vielen. Das spürt man vor allem daran, dass im anonymen Getümmel niemand niemanden ansieht. Absolutes
Autonomiegefühl in der Menge (ich könnte ja umdrehen und in die andere Richtung
gehen) und absolute Toleranz. Wie du rumläufst, was du anhast? Das interessiert
mich nicht! Zwischendrin immer mal wieder einzelne Grüppchen, aber die große
Masse, stehend an der roten Ampel, die Kreuzungen und Straßen bevölkernd, Taschen
über Rücken und Arme geworfen, wehende Schals und lange Mäntel, die
Radfahrkolonne vor mir. Ich fahre nicht mein eigenes Tempo, vielmehr das Tempo
der anderen. Anders geht es nicht. Ich habe mich diesen ganzen
unterschiedlichen Menschen unterzuordnen. Manchmal sitze ich da, trinke einen
Kaffee, schweife von meinen Skripten ab und beobachte die anderen Studierenden.
Dann spüre ich, dass ich nur eine von vielen bin. Ein kleines Zahnrädchen.
Nichts bewegendes, nichts wichtiges. Wenn man vom einen Tag auf den anderen
nicht mehr kommt, kann das dem Studienalltag (der Anderen) nichts anhaben. Es
fällt nicht auf. Hier bin ich nur verantwortlich für mich. Ich studiere für
mich und gebe Leistung ab, für mich.
Wenn ich nach Hause komme, bin ich in einer anderen Welt,
die manchmal gegensätzlicher nicht sein kann. „Mama, wenn ich mal für die
Deutschländer im Handball spiele, dann will ich im Tor sein. Das ist nicht so
anstrengend, da muss ich gar nicht rennen.“ Zuhören, antworten geben, da sein. Ich bin kein Beobachter mehr, ich
darf und muss Verantwortung übernehmen. Nicht nur für mich selbst und meine
Prüfungen. Zuhause werde ich gebraucht, Liebe zu schenken, das Essen auf den
Tisch zu stellen, den Schmutz unter den kleinen Nägeln zu raus kratzen, mit
meiner Tochter auf Bäume zu klettern, das Gute-Nacht-Lied zu singen. Zwischendurch
zeige ich, wie man Buchstaben und Zahlen nachspurt, Muster weiter führt, und
Schleifen bindet. Wenn dann alles abends wieder ruhig ist, kann ich meine losen Gedankenfäden aufnehmen, lesen, brüten, in die Tasten hauen.
Ja, ich brauche länger als meine Kommilitonen und
Kommilitoninnen. Ich gehe auch bestimmt nicht so oft abends aus wie Studierende
ohne Kinder. Aber das macht nichts. Ich liebe es, so, wie es ist. Und ich
finde, es passt ganz wunderbar zusammen, was so gegensätzlich erscheint. Was
bisweilen anstrengend ist, ermüdend, ist an vielen anderen Tagen (den meisten!) nicht nur eine
willkommene Abwechslung. Ich genieße die Zeit mit meinen Kindern, aber ich
genieße auch die Zeit für mich, mein Studium, meine persönlichen Ziele. Und ich
freue mich jeden Tag darüber, wie gut es sich vereinen lässt, wenn ich abends
meine zufriedenen und glücklichen Kinder ins Bett bringe und diese Minuten für
mich finde. Und ja, wenn meine Abschlussarbeit endlich fertig ist, werden diese
Minuten für mich vielleicht wieder etwas sportlicher ausfallen. Ich freue mich
auf Yoga, laufen oder auch das Lesen von Romanen. Literatur, die endlich mal
nicht wissenschaftlich ist, sondern einfach nur wohlklingend und so leicht,
nebenbei.
Und doch weiß ich jetzt schon: wenn ich meine letzten Prüfungen abgelegt habe,
wir auf das Land ziehen, dann werde ich es vermissen, mein Studentenleben mit
Kindern. Die Flexibilität, Anonymität und Unverbindlichkeit des
Studentenlebens.
Die Verbindlichkeit im Familienleben wird mir erhalten
bleiben.
Und genau das ist es, weshalb ich bisher nichts bereue. Ich
möchte immer für meine Kinder da sein, wenn sie mich brauchen. Dann lasse ich
eben eine Veranstaltung sausen oder lege meine Schreib- und Recherchearbeit und
das Lernen für Klausuren auf den Abend und die Nacht. Bis jetzt hat es immer
geklappt! Ich bin viel flexibler, als ich im Beruf jemals sein könnte. Und vor
allem bin ich nicht in klassischer Elternzeit, nicht nur Mama mit verkackten
Windeln im Wäscheeimer, schmerzenden Stillbrüsten und keinem Kontakt zur
Außenwelt. Nein, hallo Welt, hier bin ich – und laufe mit euch mit, mit meinem
Baby im Tuch. Ich kann zur Uni bis zum Tag der Geburt, und danach, sobald ich
mich fit fühle und wir im neuen Alltag angekommen sind, wieder mit Baby. Ich
radle im Tempo der anderen zur Uni, aber alles andere geschieht in meinem Tempo
und im Tempo meiner Familie.
Ich kann jeden nur ermutigen, Studium und
Familie eine Chance zu geben! Sogar ein Studentenjob hat noch Platz und – reden
wir mal über das Finanzielle – vom Bafögamt gibt es einen Kinderzuschlag und Zusatzsemester
für Studierende mit Kindern.
Auch wenn sich nicht leugnen lässt, dass sich an
Universitäten vieles noch kinderfreundlicher gestalten ließe... ich wurde nie kritisch
beäugt, wenn meine Große in Veranstaltungen friedlich ihre Bildchen gemalt hat
oder mein Baby im Hörsaal ein Nickerchen hält und (mittlerweile) zwischen den
Regalen der USB hin und her watschelt – weshalb wir momentan dann doch nicht
mehr so oft gemeinsam im Hörsaal sitzen!
An der Uni sehe ich immer mehr Mama’s, Papa’s und Familien
mit Kinderwagen, Tragetüchern, und Kids, die für ne Limo anstehen. Schön. Nicht
nur viele unterschiedliche Kulturen finden sich hier, auch so viele
unterschiedliche Lebenskonzepte. Und die allermeisten sehen doch glücklich aus,
wie sie so vor sich hin lernen, radeln, an Ampeln stehen, Bücher studieren oder
Ordner auf ihren Kinderwagen stapeln. Glückliche Eltern, glückliche Kinder (und
andersrum natürlich auch)!