Montag, 1. Februar 2016

Mama und Studium



Wenn wir bald auf dem Land wohnen, und mein Studium hoffentlich dieses Jahr zu einem Ende findet, werde ich das vermissen. Auf dem Weg zu sein. Der Weg zum Studienziel und den Weg zur Universität. Diese Anonymität, die mich begleitet auf diesem Weg. Massen, die in die selbe Richtung strömen, mit der selben Intention. Und trotzdem ist hier jede und jeder Individuum. Auch, wenn es nicht auf den einzelnen ankommt. Du bist nicht im Fokus. Einer von vielen. Das spürt man vor allem daran, dass im anonymen Getümmel niemand niemanden ansieht. Absolutes Autonomiegefühl in der Menge (ich könnte ja umdrehen und in die andere Richtung gehen) und absolute Toleranz. Wie du rumläufst, was du anhast? Das interessiert mich nicht! Zwischendrin immer mal wieder einzelne Grüppchen, aber die große Masse, stehend an der roten Ampel, die Kreuzungen und Straßen bevölkernd, Taschen über Rücken und Arme geworfen, wehende Schals und lange Mäntel, die Radfahrkolonne vor mir. Ich fahre nicht mein eigenes Tempo, vielmehr das Tempo der anderen. Anders geht es nicht. Ich habe mich diesen ganzen unterschiedlichen Menschen unterzuordnen. Manchmal sitze ich da, trinke einen Kaffee, schweife von meinen Skripten ab und beobachte die anderen Studierenden. Dann spüre ich, dass ich nur eine von vielen bin. Ein kleines Zahnrädchen. Nichts bewegendes, nichts wichtiges. Wenn man vom einen Tag auf den anderen nicht mehr kommt, kann das dem Studienalltag (der Anderen) nichts anhaben. Es fällt nicht auf. Hier bin ich nur verantwortlich für mich. Ich studiere für mich und gebe Leistung ab, für mich.

Wenn ich nach Hause komme, bin ich in einer anderen Welt, die manchmal gegensätzlicher nicht sein kann. „Mama, wenn ich mal für die Deutschländer im Handball spiele, dann will ich im Tor sein. Das ist nicht so anstrengend, da muss ich gar nicht rennen.“ Zuhören, antworten geben, da sein. Ich bin kein Beobachter mehr, ich darf und muss Verantwortung übernehmen. Nicht nur für mich selbst und meine Prüfungen. Zuhause werde ich gebraucht, Liebe zu schenken, das Essen auf den Tisch zu stellen, den Schmutz unter den kleinen Nägeln zu raus kratzen, mit meiner Tochter auf Bäume zu klettern, das Gute-Nacht-Lied zu singen. Zwischendurch zeige ich, wie man Buchstaben und Zahlen nachspurt, Muster weiter führt, und Schleifen bindet. Wenn dann alles abends wieder ruhig ist, kann ich meine losen Gedankenfäden aufnehmen, lesen, brüten, in die Tasten hauen. 

Ja, ich brauche länger als meine Kommilitonen und Kommilitoninnen. Ich gehe auch bestimmt nicht so oft abends aus wie Studierende ohne Kinder. Aber das macht nichts. Ich liebe es, so, wie es ist. Und ich finde, es passt ganz wunderbar zusammen, was so gegensätzlich erscheint. Was bisweilen anstrengend ist, ermüdend, ist an vielen anderen Tagen (den meisten!) nicht nur eine willkommene Abwechslung. Ich genieße die Zeit mit meinen Kindern, aber ich genieße auch die Zeit für mich, mein Studium, meine persönlichen Ziele. Und ich freue mich jeden Tag darüber, wie gut es sich vereinen lässt, wenn ich abends meine zufriedenen und glücklichen Kinder ins Bett bringe und diese Minuten für mich finde. Und ja, wenn meine Abschlussarbeit endlich fertig ist, werden diese Minuten für mich vielleicht wieder etwas sportlicher ausfallen. Ich freue mich auf Yoga, laufen oder auch das Lesen von Romanen. Literatur, die endlich mal nicht wissenschaftlich ist, sondern einfach nur wohlklingend und so leicht, nebenbei.

Und doch weiß ich jetzt schon: wenn ich meine letzten Prüfungen abgelegt habe, wir auf das Land ziehen, dann werde ich es vermissen, mein Studentenleben mit Kindern. Die Flexibilität, Anonymität und Unverbindlichkeit des Studentenlebens.
Die Verbindlichkeit im Familienleben wird mir erhalten bleiben. 

Und genau das ist es, weshalb ich bisher nichts bereue. Ich möchte immer für meine Kinder da sein, wenn sie mich brauchen. Dann lasse ich eben eine Veranstaltung sausen oder lege meine Schreib- und Recherchearbeit und das Lernen für Klausuren auf den Abend und die Nacht. Bis jetzt hat es immer geklappt! Ich bin viel flexibler, als ich im Beruf jemals sein könnte. Und vor allem bin ich nicht in klassischer Elternzeit, nicht nur Mama mit verkackten Windeln im Wäscheeimer, schmerzenden Stillbrüsten und keinem Kontakt zur Außenwelt. Nein, hallo Welt, hier bin ich – und laufe mit euch mit, mit meinem Baby im Tuch. Ich kann zur Uni bis zum Tag der Geburt, und danach, sobald ich mich fit fühle und wir im neuen Alltag angekommen sind, wieder mit Baby. Ich radle im Tempo der anderen zur Uni, aber alles andere geschieht in meinem Tempo und im Tempo meiner Familie.

Ich kann jeden nur ermutigen, Studium und Familie eine Chance zu geben! Sogar ein Studentenjob hat noch Platz und – reden wir mal über das Finanzielle – vom Bafögamt gibt es einen Kinderzuschlag und Zusatzsemester für Studierende mit Kindern.

Auch wenn sich nicht leugnen lässt, dass sich an Universitäten vieles noch kinderfreundlicher gestalten ließe... ich wurde nie kritisch beäugt, wenn meine Große in Veranstaltungen friedlich ihre Bildchen gemalt hat oder mein Baby im Hörsaal ein Nickerchen hält und (mittlerweile) zwischen den Regalen der USB hin und her watschelt – weshalb wir momentan dann doch nicht mehr so oft gemeinsam im Hörsaal sitzen!

An der Uni sehe ich immer mehr Mama’s, Papa’s und Familien mit Kinderwagen, Tragetüchern, und Kids, die für ne Limo anstehen. Schön. Nicht nur viele unterschiedliche Kulturen finden sich hier, auch so viele unterschiedliche Lebenskonzepte. Und die allermeisten sehen doch glücklich aus, wie sie so vor sich hin lernen, radeln, an Ampeln stehen, Bücher studieren oder Ordner auf ihren Kinderwagen stapeln. Glückliche Eltern, glückliche Kinder (und andersrum natürlich auch)!