Freitag, 13. November 2015

Stadt, Land, Fluss... wo wollen wir wohnen und leben?


Kennt ihr das? Diese ominöse Stadt-Land-Frage? Kaum zu beantworten, mit vielen Aspekten Für und Wider. Noch dramatischer wird es in dem Moment, in dem man es nicht für sich selbst entscheidet, sondern für die Familie. Da steht nicht mehr das Ich im Mittelpunkt, sondern das Wir. Auf einmal klingt das Ganze viel zukunftsträchtiger und irgendwie endgültiger. Es ist eben nicht mehr: Naja, sollte sich rausstellen, dass ich doch kein Land-Ei bin, gehe ich eben wieder zurück in die Stadt oder andersrum. Weil sowas nun mal nicht eben wieder rückgängig zu machen ist mit zwei Kindern und zwei Erwachsenen, die nicht nur ein Dach über dem Kopf benötigen, sondern auch einen Job - und so viel mehr, was da mit dran hängt.

Sollen unsere Kinder gesunde Landluft atmen, wissen, dass die Kuh nicht lila ist, ein Garten zum Spielen, vielleicht in einem Haus groß werden - und damit meine ich jetzt nicht das stadttypische Reihenhaus - ist das eine behütete Kindheit?
Oder wollen wir ihnen die vielen Möglichkeiten einer Großstadt bieten? Leben und wohnen in einer kulturellen Vielfalt und einer Gesellschaft, die sich irgendwie freier anfühlt. Ist das (wirklich) so? Dafür haben wir dann vielleicht kein großes Haus, weniger (räumlichen) Platz zur freien Entfaltung, keinen wild-idyllischen Land-Garten. Aber viele alternative Schulformen, mehr (kostengünstigere) Kitaplätze, mehr Akzeptanz für Mamas, die nicht drei Jahre lang das Heim und die Kinder hüten wollen, viele Spielplätze mit vielen Kindern, mehr Möglichkeiten in Job und Karriere. Und nicht zu vergessen: die Möglichkeit, mit Kind (oder Kindern) zu studieren. Aber das ist ein anderes Thema, was ich gerne zu einem anderen Zeitpunkt aufgreifen möchte.

Jeder hat so seine Vorstellungen vom Leben in der Großstadt, und vom Leben auf dem Land. Das ist jetzt vermutlich auch sehr pauschalisiert. Wo verläuft denn die Grenze zwischen Stadt und Land? Ich komme vom Land, und lebe in der Großstadt. Wir überlegen, in eine Kleinstadt zu ziehen, was für uns in die Kategorie 'Land' gehört. Beginnt Land da, wo es keinen S-Bahn-Anschluss mehr gibt? Oder keinen Bahnhof für Regionalzüge? Keine U-Bahn oder keine Universität?

Wie unterscheiden sich die Lebensentwürfe von Familien und Menschen, die auf dem Land leben und Menschen, die in der Großstadt leben? Sind sie wirklich sehr unterschiedlich? Sind die Menschen tatsächlich anders? Wird es für Städter schwer sein, auf dem Land soziale Kontakte zu knüpfen?

Für mich persönlich ist die Stadt bunter. Sie ist gespickt mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten, Kulturen, zahlreichen kulturellen Angeboten, tollen Cafés und Restaurants. Ich fühle mich hier nicht verloren in der Masse. Im Gegenteil. Die Stadt  bietet Raum für Individualität, für Freigeister und Andersdenkende. Menschen in der Stadt haben eher das Gefühl, die Welt zu gestalten, aktiv beteiligt zu sein am Leben in der Gemeinschaft. Die Menschen sind offener, häufig entspannter und trotzdem gleichzeitig geradliniger. Es macht den Anschein, sie wissen, was sie wollen. Die Lebensweise in der Stadt ist nicht nur bunter, sie ist auch schneller. Wenn ich länger darüber nachdenke, weiß ich nicht, ob ich das positiv finden soll oder nicht. Bisher jedenfalls war das für uns genau passend. Wir hatten nicht das Gefühl, nicht nach links oder rechts zu gucken und durchs Leben zu rauschen. Wirft man das den Städtern manchmal vor?
(Es handelt sich hierbei um meine persönliche Meinung. Diese erhebt keinen Anspruch auf Richtigkeit und ist auch nicht als Affront gegen die Menschen, die auf dem Land leben, zu verstehen.)  

Nennen wir es doch mal beim Namen. Eigentlich ist das eine Liebeserklärung an die Stadt Köln und den wunderbaren Stadtteil, in dem wir leben. In dem dörfliche Aspekte durchaus zu finden sind. Man kennt sich, man trifft sich, man hält ein Pläuschchen. Trotzdem gibt es eine bunte Auswahl an Menschen, viele Möglichkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen.
Jung zu sein, Kinder zu haben, gleichzeitig zu studieren, ist nichts, was hier für Aufsehen sorgen würde. Die meisten haben Kinder, zwei oder drei oder gar vier, in den unterschiedlichsten Lebenslagen. Das klassische Modell? Sehe ich hier nicht mehr so stark. Jeder machts, wie es für ihn passend ist.

Grundsätzlich läuft vieles in Köln nicht so rund. Die Rheinländer haben an und für sich den Ruf, nicht immer alles pünktlich und erfolgreich auf die Reihe zu kriegen. 'Et kütt wie et kütt'' und 'et hät noch emmer jot jejange'. Oder so ähnlich. Jaja. Kann manchmal ärgerlich sein. Andererseits ist es doch auch menschlich und liebenswert. Wenn man mal zusammen nimmt, was in Köln tatsächlich alles realisiert wurde, ist es doch in der Summe erstaunlich. Man muss ja nicht immer betrachten, was alles schief gegangen ist oder nicht zu Ende gebracht wurde...
Ja, eine Liebeserklärung an eine Stadt, die eben nicht immer perfekt ist. An die Kölner, die genau wie ihre Stadt, nicht den Anspruch erheben, perfekt zu sein.
Und jetzt wird es kritisch: es ist nun mal manchmal schwer, sich auf den Kölner verlassen zu können. Nun ja, ich sag' nur: et kütt wie et kütt. Kölner reden gerne, und viel. Da muss man auch ganz schön aufpassen, nicht auf die Nase zu fallen. Und trotzdem, wenn es sein muss, krempelt dann doch der ein oder andere die Ärmel hoch und kommt in Bewegung. Falls nicht: Probieren wir es doch mit einem Fässchen Kölsch! Lieber als schwierige Lebenslagen ist dem Kölner natürlich gute Stimmung, Karneval, ein Fässchen Kölsch. Da muss man schon sehen, dass es beschwingt zugeht. Für manch einen mag das oberflächlich erscheinen. Naja, es dauert vielleicht ein bisschen, bis man die Menschen wirklich kennenlernt. Und dann ist es wie überall: man kann sich eben nicht auf jeden verlassen, aber auf den Seelenverwandten ganz bestimmt. Und davon braucht man ja nicht so viele!
(Ebenso ist dies hier kein Affront gegen den oder die Kölner. Lediglich meine Meinung, ohne Anspruch auf Korrektheit.)

Hm, und jetzt? Ein verbindendes Element - Wasser - gibt es dennoch. Der Fluss. Und ich liebe den Rhein. Er fließt auch an unserem Land-Zuhause vorbei. Ob wir es tatsächlich wagen oder nicht, wird sich noch zeigen. Jedenfalls werde ich euch berichten, sollte es uns auf's Land verschlagen. Und ich werde kleine, selbstgebastelte Schiffchen auf den Rhein setzen und Flaschenpost ins Wasser werfen in der Hoffnung, sie schwimmen nach Köln. Am Dom vorbei, unter der Hohenzollernbrücke durch, mit ihren vielen Liebesschlössern. Da hängt auch unser Liebesschloss. Und wenn die Liebe groß ist, kann man doch eigentlich überall glücklich sein, oder?

Sonntag, 1. November 2015

Appell für eine Globale Herzerwärmung! Oder unser Reisebericht Lesbos 2015.

Lesvos ist eine wunderbare Insel. 'The lost paradise' titelte der Guardian im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise. Und ja, es ist wirklich wie im Paradies. Und mitten im Paradies: unsägliches Leid, großes Elend, unmittelbare Not. Eltern mit ihren Kindern auf den Armen, am Ende ihrer Kräfte, unterwegs auf dem langen, mühsamen und gefährlichen Weg in ein besseres und vor allem sichereres Leben. Nicht alle schaffen diesen Weg. Bereits mehr als 3 300 Menschen sind vor der Insel im Mittelmeer ertrunken, auf der Überfahrt von der Türkei nach Lesvos. 3 300 Menschen, darunter viele Kinder, haben Europa nicht erreicht, haben ihren Wunsch nach einem menschenwürdigeren Leben mit dem Leben bezahlt. 
Im Netz habe ich heute morgen in diesem Zusammenhang folgende Kommentare gelesen: 


'Mal ganz ehrlich, mir geht das relativ am Arsch vorbei, die kommen aus der Türkei, also einem sicheren Land, niemand zwingt sie mit dem Boot übers Meer zu schippern, Eltern sind selbst Schuld wenn aus lauter Geldgier ihre Kinder im Meer ertrinken, diese Menschen wollen nur nach Deutschland um sich hier ein schönes Leben zu machen so wie Mutti es versprochen hat, hört endlich auf uns mit solchen Dramageschichten ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen, zieht nicht mehr!' 

Beängstigend ist, dass man tatsächlich fast ausschließlich Kommentare dieser Art findet. Leute, die anderer Ansicht sind, behalten ihre Meinung für sich? Haben aufgegeben? 

Wir haben diese Menschen - und ja, auch Menschenmassen - auf Lesvos gesehen. Wir haben Menschen gesehen, Familien und Kinder, ältere Menschen und junge Männer und Frauen, kurz vor dem Dehydrieren, in der gleißenden Sonne erschöpft auf den Straßen liegend.  Menschenzüge, die sich zu Fuß den langen Weg über die Insel kämpften. Berge von Schwimmwesten und Schwimmflügeln, Kinderwesten mit Hello Kitty darauf. Die Küstenwache, wie sie wenige 100 Meter von der Insel entfernt Lebende und Tote aus Wasser holte. Fischer, die keine Fische mehr aus dem Wasser ziehen, sondern Menschen. Wir haben auch gesehen, dass diese Menschen und auch die Einheimischen alleine gelassen werden. Niemand dort erhält Hilfe. Es sind keine Hilfsorganisationen vor Ort. Die Griechen werden mit diesen Schwierigkeiten ebenso alleine gelassen wie die Menschen in der Türkei. Es sind Menschen wie du und ich, Einheimische und Touristen, die helfen, Wasser verteilen, Lebensmittel kaufen und an Bedürftige geben, die Flüchtlinge in den Mietwagen mitnehmen um den anstrengenden Fußmarsch zu verkürzen, einen Koffer mit Klamotten am Urlaubsort lassen, Brücken bauen, mit Händen und Füßen kommunizieren, Windeln und Babygläschen verteilen oder eine Tragehilfe an eine Flüchtlingsfamilie schenken, damit sie ihre Kinder auf dem kräftezehrenden Fußmarsch wenigstens bequemer tragen können. Eigentlich ist es kein Wunder, dass es vor Ort keine organisierte Hilfe gibt und die Menschen dort von Europa im Stich gelassen werden -  man muss nur einen Kommentar weiter nach unten scrollen um zu wissen, warum: 


'Warum? Die Türkei ist ein sicheres Land. Das Militär sollte die Flüchtlinge aus dem Meer fischen und in der Türkei an Land bringen. Wenn keiner Griechenland erreicht weil alle sofort in die Türkei gebracht werden dann kommt auch keiner mehr. Das ist die einzige Lösung des Problems.' 

Stimmt? Was geht uns das eigentlich an? Sollen die Menschen doch alle in der Türkei bleiben. Die Türkei kann ja dann schauen, was zu machen ist und wie sie mit der Situation umgehen. Hauptsache jedenfalls, die kommen nicht ALLE nach Deutschland. Eine Verlagerung des Problems hat bis jetzt das Problem noch immer behoben. Zumindest kurzfristig. Oder anders gesagt: Wir haben das 'Problem' nicht mehr im Blick(feld). 'Problem' behoben?  

Dass die Lösung nicht einfach ist, ist vermutlich unbestritten. Ich maße mir nicht an, einen Lösungsvorschlag parat zu haben. Doch wegschauen, blöde Kommentare posten, Hasstiraden schwingen, Angst vor dem Unbekannten haben und diese schüren, sich mit Halbwahrheiten begnügen oder einfach auf Durchzug stellen, das kann nicht die Lösung sein. 
Nicht nur die Politik entscheidet, wie wir mit der neuen Situation umgehen und ob Merkels 'Wir schaffen das' auf fruchtbaren Boden fällt. Jeder einzelne gestaltet unsere Gesellschaft mit und wir alle können etwas dafür tun, dass wir es (gemeinsam) schaffen. Und damit meine ich nicht nur Deutschland. 
Es ist nicht allzu lange her, da suchten viele Menschen aus Deutschland Zuflucht. Zuflucht vor einem Krieg, den die Deutschen selbst begonnen haben. Aus dieser Zeit sollten wir noch wissen, wie einfach Kopfwäsche sein kann und was aus verbaler Diffamierung entstehen kann. Und was es bedeutet, auf der Flucht zu sein. 


Werte vorleben statt sie lediglich zu vermitteln 


Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich es mit meiner Nachbarin Kathie halten und den Menschen eine globale Herzerwärmung wünschen. Und den Mut, unserem Herzen zu folgen, uns an traditionellen Werten wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Empathie und Menschlichkeit zu orientieren. Werte, die wir doch eigentlich täglich versuchen, unseren Kindern zu vermitteln. Wenn wir wollen, dass auch unsere Kinder in einer menschenwürdigen Welt leben, dann sollten wir endlich anfangen, diese Werte selbst vorzuleben! 


Zitate / Kommentare zu: Flüchtlingsdrama in der Ägäis. Lesbos fordert Fähren für Flüchtlinge aus der Türkei. In: Facebook unter ZDF heute. URL:https://www.facebook.com/ZDFheute/?fref=ts. 31.10.2015.