Sonntag, 12. Juli 2015

Babygeleitete Beikost

"Zwei Wiener Schnitzel, püriert, bitte!"
So lautete eine Bestellung von Zwillingseltern für ihre beiden 6 Monate alten Babys in einer Hotelbar. Die Familie lebt in Amerika und war hier in Deutschland zu Besuch. Was bei uns für Überraschung sorgt, mag in anderen Familien, an anderen Orten, in anderen Kulturen oder auch nur zu anderen Zeiten vollkommen normal sein.

Einfalt statt Vielfalt? 

Während in Deutschland die meisten Babys (bis vor kurzem) unentwegt Möhre und Hokkaido Kürbis zu sehen und schmecken bekamen, klingen Brei-Wünsche wie Avokado-Erdbeere-Hühnchen in unseren Ohren doch recht kreativ. Aber auch in Deutschland wird das Beikost-Angebot zunehmend größer und vielfältiger. Zu diesem Schluss kommt man zumindest, wenn man sich die Babybrei-Regale in Supermärkten und Drogerien ansieht. Da stehen doch tatsächlich Breie in der Geschmacksrichtung Schokolade oder Stracciatella oder sogenannte Gute-Nacht-Breie, die dem Käufer mit Möndchen und Sternchen auf dem Etikett eine ruhige Nacht suggerieren. Ein Blick auf die Zutatenliste verrät: in einem Gläschen Gute-Nacht-Brei sind sage und schreibe 7 bis 8 Stücke Würfelzucker! Ganz abgesehen davon, dass dies super ungesund ist, schläft das Baby entweder stundenlang - völlig erschlagen und überfordert von dieser Riesenmenge Zucker, die der kleine Magen erstmal verdauen muss, während Karies und Baktus sich in aller Seelenruhe im kleinen, schnarchenden Babymund an die Arbeit machen. Oder das Kind ist unglaublich aufgedreht, weil der kleine Körper mit dieser immensen und ungewohnten Zuckermenge einfach nur aufgeputscht wird.
Leider führte die Debatte, ob derartige Babybreie in Deutschlands Supermarktregalen verboten werden sollen, zu keiner zielführenden Lösung. Für Babys ist diese Unentschlossenheit innerhalb der verantwortlichen Reihen sicherlich nicht von Vorteil. Wer letztendlich dafür Sorge tragen kann, dass diese Produkte aus dem Sortiment ausscheiden, sind wir Eltern, indem wir derlei nicht kaufen und in jedem Fall beim Griff ins Regal auf die Zutatenliste der Babygläschen achten.
Was nicht drauf steht, ist nicht drin? Leider nein. Laut EU-Verordnung müssen nicht alle Zutaten auf der Zutatenliste aufgeführt werden, so lange sie unter den Grenzwerten liegen, die eine Deklaration per Gesetz erforderlich werden lassen. Das heißt, dass in den meisten gekauften Babybreien Zusatzstoffe wie zum Beispiel Zucker, Konservierungsstoffe und Farbstoffe versteckt sind, die nicht auf den Etiketten deklariert sind.

Trends in Sachen Beikost 

Wie fast alles, so sind auch Beikostfahrpläne sowie offizielle Empfehlungen für Babys gewissen Trends unterworfen. Hieß es vor einigen Jahren eher noch Einfalt statt Vielfalt, so hat sich dies mittlerweile beinahe ins Gegenteil verkehrt und wir als Eltern werden vor die Entscheidung gestellt, ob Möhre, Kürbis oder ob auch mal Pastinake, Fenchel, Rote Beete, Stracciatella oder Wiener Schnitzel mit dabei sein dürfen. Ob selbst gekocht oder aus dem Gläschen.

Auch die empfohlene Stillzeit der WHO hat sich zunächst von den empfohlenen 6 Monaten auf 4 Monate verkürzt, um daraufhin wieder auf 6 Monate angehoben zu werden. Nun wird empfohlen, dass man bereits ab einem Alter von 4 Monaten mit der Beikost beginnen kann - was jedoch im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass man das tun muss! (Siehe Anzeichen zur Beikostreife!)

Der neueste Trend in Sachen Beikost heißt 'breifrei' und 'Baby led weaning'. Hier entscheidet das Baby, was gegessen wird, wie es gegessen wird, wieviel davon gegessen wird oder auch ob überhaupt was gegessen wird. Püriertes soll's nicht sein, gefüttert wird bei 'Baby led weaning' auch nicht. Zum Selberknabbern und Kennenlernen gibt's bissfest gegarte Gemüsesticks, gegessen wird erstmal mit der Hand und gerne das, was die Familie auch isst. Klingt eigentlich ganz praktisch. Jetzt stille ich jedoch seit einem halben Jahr, Gemüsesticks findet unser Sohn auch ganz witzig, aber essen kann er die jedenfalls nicht. Zum Runterwerfen und auf den Tisch matschen eignen sie sich prima. Was einmal unten lag, kommt dann aber in die Tonne - so war´s das dann ganz schnell mit den Gemüsesticks. Da er die Sticks nicht essen kann, wird er davon auch nicht annähernd satt und ist eigentlich eher frustriert als beglückt. Selbst essen kann ich dabei auch nicht, während mein Baby 'Baby led weaning' für sich austestet (wird von 'Baby led weaning' als Vorteil angepriesen). Was übrig bleibt sind Sauerei und Chaos und ein unzufriedenes Baby.
Brei war allerdings bei uns (beim zweiten Kind) auch nicht der Renner. Und auch wir wollen keinen Beikostfahrplan mehr fahren, wie wir das bei unserer Tochter erfolgreich getan haben. Immer frisch selbst gekocht, regional, saisonal und in Bioqualität. Als unsere Große so alt war wie unser Sohn jetzt, hat sie täglich zu festen Zeiten mit Freude 4 ordentlich portionierte Breie verputzt, und zwar bis auf den letzten Löffel.

Was tun?

Babygerechte Beikost individuell und immer anders? 

Kinder sind unterschiedlich. Und auch unsere Bedürfnisse als Eltern sind zu unterschiedlichen Zeiten einfach andere. Während wir damals unseren B(r)eikostfahrplan mit der selben Freude verfolgt haben, wie unsere Tochter unser Angebot aufgefuttert hat, so wissen wir jetzt, dass ein solches Vorgehen in unserer jetzigen Situation nicht unseren Wünschen entspricht. (Und damit meinen wir jetzt nicht nur unseren Wünsche als Eltern, sondern auch den Bedürfnissen unseres Sohnes.)
Nein, er isst die Breie nicht, die wir vor ihn hin stellen.
Aber er interessiert sich mittlerweile für unser Essen - und darf probieren. Und wenn es für ihn hilfreich ist, pürieren wir das auch gerne. Und füttern (mit dem Flexi-Löffel von Dr. Boehm) tun wir sowieso, wenn er die Bereitschaft zeigt, essen zu wollen - sonst würde auch wirklich gar nichts in seinem Mund landen. Wiener Schnitzel gibt es bei uns trotzdem nicht. Dabei bleiben wir, saisonal und regional und möglichst in Bioqualität. Auf Würze verzichten wir, zumindest in den Töpfen. Nachwürzen darf jeder nach Belieben auf seinem Teller.

Do´s and Dont´s und trotzdem flexibel 

Salz, Zucker, Honig (Honig ist ein unbehandeltes Naturprodukt und für Babys unter einem Jahr ungeeignet) und Kuhmilch sowie rohes oder wachsweiches Ei stehen für unseren Kleinen noch nicht auf dem Speiseplan. Er wird weiterhin gestillt und erhält somit ausreichend Milch, sodass wir gut und gerne auf artfremde Milch verzichten können. Brauchen wir dennoch mal einen Ersatz, zum Beispiel bei Kartoffelbrei oder Griesbrei, nehmen wir dafür natürlich keine Muttermilch sondern Reismilch oder Hafermilch. Damit kann man auch wunderbar Baby Obst-Getreide-Milch-Breie selbst kochen oder einfach nur Babymüsli zubereiten. So kann unser Sohn nicht nur entscheiden, was er gerne ist, Geschmäcker ausprobieren und bestimmen, wieviel er essen möchte, sondern er kann einfach auch überall mitessen. Ob bei Freunden oder auf Reisen, solange wir unseren Zauberstab im Gepäck haben, können wir auf traditionelle Breirezepte einfach verzichten. Auf dass die gemeinsame Elternzeit mit vielen (spontanen) Reisen und Ausflügen auch in Sachen Essen ein voller Erfolg wird und vor allen Dingen viel Freude macht!
Was wir jedoch beachten: die Zusammensetzung der Fettsäuren. Wie in traditionellen hiesigen Beikostplänen empfohlen, gibt es tierisches und pflanzliches Fett (mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Omega-3-Fettsäuren) im Wechsel. So wird an einem Tag ein Stück Butter unter das (pürierte) Essen gemischt, und am nächsten Tag einen Teelöffel Rapsöl.

Beikostreife

Babys erreichen die Beikostreife nicht zu einem festgesetzten Zeitpunkt. Auch wenn so mancher ausgeklügelter Beikostfahrplan und der ein oder andere Kinderarzt uns dies glauben machen wollen. Ein Kind ist beikostreif, wenn es sich für Essen interessiert und mit sanfter Unterstützung im Rücken aufrecht stabil sitzen kann (zum Beispiel auf dem Schoß eines Erwachsenen oder für kurze (!) Zeit mit unterstützendem Kissen in einem Hochstuhl) und sich selbständig vom Rücken auf den Bauch drehen kann. Denn erst dann vermag das Baby, mit der Zunge seitliche Bewegungen im Mund auszuführen und der Zungenstreck-Reflex ist nicht mehr so ausgeprägt, dass das Baby jeden 'Fremdkörper' im Mund direkt wieder nach vorn befördert und ausspuckt.

Baby- und familiengerechte Beikost für unser Baby und unsere Familie 

Es kommt uns nicht darauf an, eine Milchmahlzeit zu ersetzen, sondern unseren Sohn sanft und in seinem Tempo an Essen heran zu führen. Dabei gehen wir auf seine natürliche Neugier ein. Wenn er beim Frühstück, Mittagessen und Abendessen probieren will, versuchen wir, dies möglich zu machen - auch wenn das heißt, dass er von Anfang an (unter Umständen) direkt drei mal am Tag etwas anderes als Muttermilch zu sich nimmt, beziehungsweise einige Löffelchen von unserem Essen probiert.
Unser Sohn hat einen sehr empfindlichen Magen und wir gehen davon aus, dass genau dies der Grund dafür ist, dass er in der Vergangenheit kein Interesse am festen Essen gezeigt hat und jetzt auch instinktiv steuern kann, wieviel und von welchem Essen und wie oft am Tag er essen möchte. Dennoch versuchen wir zu beobachten, wie er auf die unterschiedlichen Lebensmittel reagiert und diese verdaut. Dafür ist es hilfreich, nicht alles (oder so wenig wie möglich) als Mischmasch anzubieten, sondern Lebensmittel lieber separat und 'pur' auf den Familientisch zu stellen. So kann er auch viel besser Geschmäcker einordnen oder überhaupt entscheiden, welches Lebensmittel ihm zusagt, 'gut tut' und welches er essen möchte. Vermutlich hat kein Baby ein instinktives Gespür für Schoko-Nuss-Mus oder Wiener Schnitzel ;-) So dachten wir uns das zumindest!

Fragen zur Beikost und Ernährung am Familientisch 

Verschiedene Trends und eine gewisse Vielfalt im Angebot verlangen von uns als Eltern vor allem eines: eine Entscheidung oder zumindest eine Überlegung, wie man das Ganze selbst anpacken möchte. Was passt zu uns? Was möchte unser Kind? Was davon können wir realisieren und in unseren Alltag integrieren, ohne das Thema Essen zu einem Stress-Thema werden zu lassen? Was ist uns in Sachen Ernährung wichtig, was wollen wir unserem Kind vorleben und vermitteln? Wir können uns informieren, Trends hinterfragen und einen eigenen Weg für unser Baby und unsere Familie finden.
Dies ist uns bereits einmal geglückt, auch wenn unser Weg dahin anders ausgesehen hatte.
Jedenfalls ernährt sich unsere Tochter (bis heute) mit Freude, hat ein gesundes Verhältnis zu Nahrung und Essen, ist experimentierfreudig, isst sogar gerne Gemüse und 'stressig' ist das Thema Essen bei uns nicht. Wir freuen uns, wenn das Zusammensein am Familientisch weiterhin so entspannt bleibt und darum sieht der Weg zum Essen für uns und unseren Sohn diesmal anders aus, weil anderes Kind, andere familiäre Situation.

Was sind eure Gedanken und 'Praktischen Tipps' zum Thema Beikost? Wie handhabt ihr das in eurer Familie? Wir freuen uns über Feedback!



Hilfreiche Links zum Thema Beikost und Ernährung am Familientisch:

Edith Gätjen: Lotta lernt essen; Essensspaß für kleine Kinder; Lottas Lieblingsessen; Das geniale Familienkochbuch 
Loretta Stern, Anja Constance Gaca: Das breifrei! Kochbuch; Einmal breifrei bitte! 
Dagmar von Cramm: Richtig essen in Schwangerschaft und Stillzeit (Anmerkung: und in der Beikostphase!)

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